Berlin. Seit 40 Jahren versorgt das Wissenschaftliche Institut der AOK das Gesundheitswesen mit Zahlen und Analysen. Für das Brückenbauen zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik gab es bei der Geburtstagsfeier am 22. November 2016 in Berlin viel Lob. Ein Bericht von Thomas Rottschäfer und Bilder von Stefan Melchior mit freundlicher Genehmigung der G&G-Redaktion.
Forschung für eine bessere Versorgung:
„Das WIdO gibt immer wieder wichtige Impulse und ist aus der gesundheitspolitischen Diskussion nicht mehr wegzudenken.“ Damit hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe bei der Festveranstaltung „40 Jahre WIdO“ Ende November in Berlin eigentlich alles gesagt. Aber natürlich wollen sich noch viele weitere Gäste aus Politik, Gesundheitswesen und Wissenschaft ihr Lob nicht nehmen lassen. Zum Beispiel Professor Karl Lauterbach. Für ihn sei das gesundheitspolitische Leben ohne die Studien des Wissenschaftlichen Instituts der AOK kaum vorstellbar, sagt Gröhes SPD-Counterpart in der Großen Koalition. Insbesondere der „Arzneiverordnungs-Report“ sei in Deutschland ohne Alternative.
Zahlendschungel durchforstet
Die Gründung des WIdO fällt in ein Jahrzehnt, in dem zweistellige Zuwachsraten bei den Gesundheitsausgaben die Politik aufschrecken. Der Begriff der „Kostenexplosion“ kommt auf und 1977 eröffnet der Bundestag mit der Verabschiedung des Krankenversicherungs- und Kostendämpfungsgesetzes den Reigen einer Gesundheitsgesetzgebung, der bis heute andauert. Auch die gesetzlichen Krankenkassen wollen endlich genauer wissen, was sich im nebulösen „Versorgungsgeschehen“ abspielt. 1976 entschließt sich die AOK-Gemeinschaft zur Gründung eines eigenen Instituts am Sitz des AOK-Bundesverbandes in Bonn. Es soll den Zahlendschungel durchforsten und die Daten analysieren. Dr. Gudrun Eberle gehört zu den vier Wissenschaftlern der ersten Stunde. In Berlin erinnert sie sich an ihren ersten Forschungsauftrag: „Die AOKs hatten Angst, dass die Reform der Krankenscheinausgabe zu mehr Arztbesuchen führt. Wir haben nachgewiesen, dass die Sorgen unbegründet sind.“
Für Transparenz gesorgt
Seit 1980 taucht das WIdO tief durch den Pharmamarkt. Mit dem Arzneimittelindex für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV-Arzneimittelindex) entsteht ein Projekt, das Ärzten, Krankenkassen und Gesundheitspolitik bis heute detaillierte Daten liefert. 1985 heben der damalige WIdO-Leiter Dr. Dieter Paffrath und der Pharmakologe Professor Ulrich Schwabe den Arzneiverordnungs-Report (AVR) aus der Taufe. Beide sind bis heute Herausgeber des Standardwerks. Beim WIdO-Jubiläum in Berlin präsentiert Paffrath den „geschwärzten“ Report des Jahres 1997.
Der Versuch einiger Pharmaunternehmen, die negative AVR-Beurteilung ihrer Produkte gerichtlich zu verhindern, machte den Report und das WIdO erst recht bekannt. Im Hauptsacheverfahren unterlagen die Arzneimittelhersteller. „Letztlich wurde die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Arbeit des WIdO bestätigt“, betont Dieter Paffrath. Der AVR bekommt in der Folge zahlreiche Geschwister: Mit Krankenhaus-Report, Fehlzeiten-Report, Versorgungs-Report, Pflege-Report oder Heilmittelbericht und dem in diesem Jahr erstmals aufgelegten Qualitätsmonitor durchleuchten die mehr als 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des WIdO inzwischen alle Bereiche des Gesundheitswesens. Für das Institut arbeiten Ärzte, Pharmazeuten, Ökonomen, Sozialwissenschaftler, Mathematiker und Informatiker. Allein in den vergangenen sechs Jahren legte das WIdO rund 400 Veröffentlichungen vor. Ein Extra-Dankeschön gibt es vom Bundesgesundheitsminister für den Pflege-Report: „Er ist sehr gut geeignet, die Debatte um dieses wichtige Thema mitzuprägen“, so Gröhe.
Austausch mit Forscherkollegen
Was macht den Erfolg des WIdO aus? Es ist die Summe vieler Faktoren, die bei der Feier in Berlin immer wieder genannt werden. Martin Litsch, selbst einmal Chef des WIdO und inzwischen Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes, hebt die klare Anwendungsorientierung hervor: „Das WIdO versteht sich als Bindeglied zwischen Wissenschaft und Praxis.“ WIdO-Geschäftsführer Professor Klaus Jacobs betont die Unabhängigkeit trotz Zugehörigkeit zum AOK-System.
Und für seinen Partner in der Geschäftsführung, Jürgen Klauber, macht die enge Zusammenarbeit mit externen Fachleuten und Wissenschaftseinrichtungen einen wesentlichen Teil des Erfolgs aus. „Es macht einfach Spaß, mit euch zusammenzuarbeiten“, bestätigt Professorin Adelheid Kuhlmey die Einschätzung Klaubers. Die Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft an der Berliner Charité gibt zusammen mit dem WIdO den Pflege-Report heraus und lobt den offenen und konstruktiven Austausch. Professor Reinhard Busse, Gesundheitsökonom an der Technischen Universität Berlin und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des WIdO, schätzt vor allem die Kontinuität der Forschung. Über Jahre hinweg liefere das Institut verlässliches Zahlenmaterial, mit dem viele andere Einrichtungen arbeiten könnten. „Allergrößten Respekt“, zollt Dr. Helmut Platzer dem Institut. Für Vertragsverhandlungen, strategische Entscheidungen, Öffentlichkeitsarbeit und Politikberatung seien dessen Daten und Analysen unverzichtbar, sagt der Vorstandschef der AOK Bayern. Dass auch die Selbstverwaltung hinter dem WIdO steht, machte Fritz Schösser beim Geburtstagstalk deutlich: „Arbeitgeber- und Versichertenseite waren und sind sich einig darin, keinen Einfluss auf die Forschungsarbeit auszuüben“, unterstreicht der Aufsichtsratsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes (Versichertenseite).
Qualitätsvergleich ermöglicht
Hermann Gröhe betont in seiner Festrede auch die Bedeutung der WIdO-Zahlen für den politischen Entscheidungsprozess: „Sie sorgen für Transparenz.“ Doch auch Patienten und Versicherte profitieren laut Gröhe von den Analysen. Als Beispiel nennt er das bundesweit einmalige Projekt der Qualitätssicherung mit Routinedaten (QSR), das einen Qualitätsvergleich von Kliniken in ganz Deutschland bietet. Gröhe: „Die Ergebnisse sind sowohl für Patienten als auch für Ärzte im Krankenhausnavigator der AOK nutzbar und der Klinikbericht hilft Krankenhäusern beim klinikinternen Qualitätsmanagement.“
Denkanstöße geliefert
Das Motto der Festveranstaltung lautet „Lasst die Zahlen sprechen“. Daran hält sich auch der stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrates für das Gesundheitswesen, Professor Eberhard Wille. In seinem Festvortrag seziert er vor den rund 200 geladenen Gästen die politischen Anstrengungen der vergangenen Jahrzehnte für mehr Qualität und Wettbewerb im Gesundheitswesen.
Sicher nicht ganz unbeabsichtigt stößt er dabei auf wichtige WIdO-Impulse. So ein Anstoß ist zum Beispiel die Ergänzung der Preis- und Mengenbeobachtung bei der Analyse des Arzneimittelmarktes um eine Strukturkomponente. Dies, so Wille, habe den Blick auf die teuren Analogpräparate ohne Zusatznutzen gelenkt und sei damit nicht zuletzt das Fundament der Nutzenbewertung neuer Arzneimittel. Neben dem Lob sind sich die Gäste der 40-Jahr-Feier auch in einem Wunsch einig: „Macht weiter so, auch wenn es manchmal unbequem ist.“